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Katholizismus und Politischer Katholizismus

Im Ausdruck „Politischer Katholizismus“ findet eines der Wirkungsfelder des Begriffes „Katholizismus“ Niederschlag. Entstanden in niederländischen reformierten Kreisen im Kontext der Konfessionsbildung wurde der Terminus Katholizismus von den Katholiken (zögerlich) übernommen und vorerst als Gegenbegriff zum Ausdruck „Protestantismus“ verwendet (vgl. Schneider). Der Sprachgebrauch unterschied sich jedoch lange Zeit: setzten die Protestanten die Katholische Kirche und Katholizismus gleich, differenzierten die Katholiken deutlicher zwischen Kirche und Glaube einerseits und Katholizismus als Ausdruck von „kulturell-sozialer Manifestation der römisch-katholischen Tradition“ (V. Conzemius, vgl. Maier). Im 19. und 20. Jahrhundert veränderten sich die politisch-sozialen Rahmenbedingungen für die Katholische Kirche so grundlegend, dass für die gesellschaftliche Präsenz der Christen neue Ausdruckformen geschaffen werden mussten, womit auch dem Begriff Katholizismus neue Bedeutung verliehen wurde (vgl. Saberschinsky).
Begriffsbestimmungen betonen vorrangig zumeist das, was unter Katholizismus nicht verstanden werden soll: eine Identität mit der Institution der Katholischen Kirche oder dem katholischen Glaubensgut. Unter Hervorhebung seiner elementaren Merkmale – u.a. das Bekenntnis zu den von der Kirche verwalteten Offenbarungswahrheiten, die von Menschen getragen werden; die Darstellungsweisen des Katholizismus als eine Einheit in Vielfalt, die wissens- und milieubedingt statisch oder dynamisch wahrgenommen und geäußert werden kann – kann Katholizismus nach Anton Burghardt „als ein Insgesamt der als katholisch klassifizierten Lebensäußerungen“ verstanden werden, „ausgewiesen in besonderen Interaktionen und Gruppierungen, eingebunden in eine bestimmbare Zeit und in ein orientierendes jeweiliges Milieu“. Angesichts der möglichen heterogenen Erscheinungsformen gibt also nicht einen Katholizismus, sondern „Katholizismen bzw. einen jeweiligen Katholizismus“(vgl. Burghardt). Mit dieser Forderung nach einer Pluralität des Katholizismus wird auch das mangelnde Identitätsverhältnis zwischen Katholizismus und Katholischer Kirche begründet: Die Prägefaktoren eines Katholizismus nach Raum und Zeit bestimmen ihn in seiner geschichtlichen Wirkmächtigkeit, was ihn von der Kirche als ein “bereits von der begründenden Institution her ungeschichtliches Phänomen“ (vgl. Burghardt) unterscheidet.
    Die Wirkungsfelder von Katholizismus bestimmen sich nach den auf diesen einwirkenden Kräftefeldern und deren jeweiliger Ausrichtung (vgl. Schneider). Dadurch spricht man inbesondere von „Kulturkatholizismus“, „Sozialkatholizismus“ und von „Politischem Katholizismus“, wobei die Grenzen je nach Zielsetzung verlaufend sind. Letzterer geht jedoch über die Beschränkung auf parteipolitische Aspekte hinaus und bezieht sich „auf alle die verschiedenen politischen Gruppierungen, die sich die katholischen Interessen zum Hauptziel“ machen (vgl. Köhler). Katholisch motivierte Anliegen können somit in verschiedenster Gestalt in den politischen Prozess Eingang finden und politisches Engagement – im Verständnis eines „Politischen Katholizimus“ – kann sich in Form von katholischen Vereinen und Verbänden, aber auch in der Katholischen Aktion und auch in politischen Parteien ausdrücken (vgl. Mantl, Schneider). Als spezifische Ausprägung des Katholizismus im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert sieht Köhler „Politischen Katholizismus“ als Verkörperung „gesellschaftlicher Sondergruppen, die sich in der nachrevolutionären Gesellschaft unter Anleihe bei der Revolution herausbilden“ (zitiert nach Mantl). Politischer Katholizismus begann somit als politische Formierung von Katholiken zur Verteidigung kirchlicher Rechte und Privilegien. Im Weiteren wurde er vor dem Hintergrund eines großen sozialen und wirtschaftlichen Wandels auch Interessensvertreter bestimmter Schichten, die auch die Gestalt von politischen Parteien annahm. Nicht zuletzt durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) sollten dem mündigen katholischen Laien Freiheiten in seinen konkreten politischen Entscheidungen eingeräumt werden, die eine Pluralität von Politischen Katholizismen nicht nur in verschiedenen Ländern zur gleichen Zeit, sondern auch in einem Land ermöglichen (vgl. Klostermann).

K.E.

Verwendete und weiterführende Literatur:
-    Anton Burghardt, Katholizismus – Merkmale, in: Politischer Katholizismus (Schriftenreihe des Institutes für Sozialpolitik und Sozialreform 11), Gesellschaft und Politik, 11 (1975) 3, Wien, 7–16.
-    Norbert Greinacher/ Ferdinand Klostermann, Vor einem neuen politischen Katholizismus? (Erfahrung und Theologie 1), Frankfurt am Main [u.a.] 1978.
-    Karl-Joseph Hummel (Hg.), Zeitgeschichtliche Katholizismusforschung. Tatsachen - Deutungen - Fragen. Eine Zwischenbilanz, Paderborn/ München/ Wien [u.a.] 2004.
-    Heinz Hürten, Politischer Katholizismus. in: Walter Kasper et al. (Hg.), Lexikon für Theologie und Kirche (LThK), Freiburg im Breisgau/ Wien [u.a.] Sonderausg. 2009, (durchges. Ausg. der 3. Aufl. 1993 - 2001), Sp.394-395.
-    Ferdinand Klostermann, Für eine Pluralität von politischen Katholizismen, in: Katholizismus und Politische Parteien, (Schriftenreihe des Institutes für Sozialpolitik und Sozialreform 13), Gesellschaft und Politik 13 (1977) 4, Wien, 5–24.
-    Oskar Köhler, Der politische Katholizismus, in: Politischer Katholizismus (Schriftenreihe des Institutes für Sozialpolitik und Sozialreform 11), Gesellschaft und Politik, 11 (1975) 3, Wien, 18–34.
-    Hans Maier, Katholizismus. in: Walter Kasper et al.(Hg.), Lexikon für Theologie und Kirche (LThK), Freiburg im Breisgau/ Wien [u.a.] Sonderausg. 2009, (durchges. Ausg. der 3. Aufl. 1993 - 2001), Sp.1368-1370.
-    Wolfgang Mantl, Der parteipolitische Katholizismus, in: Politischer Katholizismus (Schriftenreihe des Institutes für Sozialpolitik und Sozialreform 11), Gesellschaft und Politik, 11 (1975) 3, Wien, 36–67.
-    Alexander Saberschinsky, Die Organisation des politischen Katholizismus in Europa des 20. Jahrhunderts. in: Heiner Timmermann (Hg.), Die Rolle politischen Katholizismus in Europa im 20 Jahrhundert, Berlin 2009, 47–61.
-    Helmut Schneider, Katholizismus. in: Alfred Klose/Wolfgang Mantl/Valentin Zsifkovits (Hrsg.), Katholisches Soziallexikon, Innsbruck, Wien/ München 1980, Sp.1318–1326.
-    Heiner Timmermann (Hg.), Die Rolle politischen Katholizismus in Europa im 20 Jahrhundert, Berlin 2009.

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