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Petitionen an das Regime. Rhetorische Strategien in der Kommunikation mit der kommunistischen Bürokratie in der Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik

Eingaben bildeten eine Variante der öffentlichen Meinungsäußerung bzw. privaten Kommunikation mit den Herrschaftsträgern in der Sowjetunion. Es handelte sich um Bittschriften, Beschwerden und sonstige Stellungnahmen der Bevölkerung an die verschiedenen Instanzen von Staat und Partei. Der politisch-ideologisch aufgebaute Staat sah sich verantwortlich, die Kommunikation mit dem Bürger zu führen, um einerseits in seine Sorgen und Nöte Einblick zu haben, andererseits um in der „sozialistischen Demokratie“ die Kontrolle zu behalten.

In Litauen stand das sozialistische Petitionswesen im Zeichen der Sowjetisierung. Die Praxis des Eingaben-Schreibens begann 1945 und erfuhr bis in die achtziger Jahre eine exponentielle Steigerung. Das Petitionswesen als Kommunikationsparadigma zwischen Staat und Gesellschaft führte de facto zum Zustand einer verkehrten Wirklichkeit: In den Augen der Partei übernahm der Bürger eine aktive Gestaltungsrolle am Aufbau des sozialistischen Ideals, während die Verfasser von Eingaben sich nicht selten mit einem letzten Hilferuf aus dessen Zwängen zu befreien versuchten.

Die Absicht der empirischen Analyse ist die Erschließung des bewussten bzw. unbewussten Handelns in einer fragmentierten Öffentlichkeit unter herrschaftlichen Zusammenhängen sowie der inneren Werthaltung in Bezug auf die Sowjetisierung Litauens. Im historischen und sprachwissenschaftlichen Rahmen soll untersucht werden, inwieweit innerhalb der Kommunikation mit der kommunistischen Elite ein nonkonformes, systemresistentes bzw. systemangepasstes sprachliches Denken und Handeln vorhanden war, konstant blieb oder sich veränderte.

Initiativkolleg "Europäische historische Diktatur - und Transformationsforschung"
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